FrankfurtDie deutsche Finanzbranche steht vor einem neuen, massiven Steuerbetrugsskandal. Wie die Staatsanwaltschaft Bochum dem Handelsblatt auf Anfrage bestätigte, durchsuchen seit Dienstagmorgen 270 Beamte der Bochumer und Düsseldorfer Steuerfahndung rund 40 Standorte der Commerzbank. Auch die Zentrale in Frankfurt ist Ziel der Ermittler.

Laut Insidern erwarten die Fahnder, Beweise für Steuerhinterziehung in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro zu finden. Es soll um Betrug mit Lebensversicherungen aus dem Haus der italienischen Versicherungskonzerns Generali gehen. Laut Staatsanwaltschaft Bochum handelt es sich um mehr als 200 deutsche Kunden, die seit 2006 Einkommenssteuer hinterzogen haben sollen.

Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch Unregelmäßigkeiten bei einer Steuererklärung im September 2013 in Nordrhein-Westfalen. Nach Informationen des Handelsblatts geht es konkret um Lebensversicherungsmäntel, die von der Generali-Tochter Generali Pan Europe Limited mit Sitz in Irland angeboten wurden. Solche Lebensversicherungsmäntel waren in der Vergangenheit ein beliebtes Mittel, um Schwarzgeld vor dem Fiskus zu verstecken.

Die Commerzbank steht deshalb im Fokus, weil sie als Konzernpartner der Generali Pan Europe agiert. Nach Informationen von Beteiligten brachten die fraglichen Kunden ein Mindestanlagevolumen von 500.000 Euro mit. Häufig aber packten die Steuersünder auch mehrere Millionen Euro in solche Mäntel. Die Commerzbank wird von den Ermittlern jedoch derzeit als Zeuge geführt, nicht als Verdächtiger.

„Im Rahmen einer Untersuchung gegen Einzelpersonen im Zusammenhang mit mutmaßlicher Beihilfe zur Steuerhinterziehung sind heute Geschäftsräume der Commerzbank untersucht worden“, bestätigte ein Commerzbank-Sprecher.

Die Ermittlungen richteten sich nicht gegen die Bank, sondern gegen einzelne Mitarbeiter eines anderen Finanzdienstleisters. „Die Commerzbank kooperiert selbstverständlich vollumfänglich mit den Ermittlungsbehörden“, sagte der Sprecher. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine weiteren Details nennen können, da es sich um ein laufendes Verfahren handelt.“

Der Trick bei Lebensversicherungsmänteln: Der Kunde legt sein Geld in Fonds, Aktien, Anleihen oder anderen Wertpapieren an. Über das Depot wird ein Lebensversicherungsmantel gedeckt. Nach zwölf Jahren Laufzeit fällt dann nur eine geringere Steuerlast an. Der Vorteil der Konstrukte: Reiche Kunden können ihr Geld anlegen, wie sie möchten. Neben der Steuerersparnis lockt zudem die Anonymität, welche der Deckmantel der Lebensversicherung verleiht.

Bei einer „echten“ Lebensversicherung hingegen entscheidet nicht der Anleger, sondern die Versicherungsgesellschaft, wie das Geld investiert wird. Zudem muss tatsächlich ein Risiko abgesichert werden, eben der Tod des Versicherungsnehmers. Ein ähnlich gelagerter Fall erschütterte im vergangenen Jahr die Schweizer Bank Credit Suisse.

Die Commerzbank ringt mit einem Konzernumbau und schrumpft die Mitarbeiterzahl. Rund 5200 Mitarbeiter müssen gehen. Die Führungsspitze setzt die Axt aber nicht nur an der Basis an, auch Direktoren und sogar zwei Vorstände müssen die Bank verlassen. Nach langem Ringen setzte sich Aufsichtsratschef Klaus-Peter Müller durch: Die für die konzerneigene Abbausparte zuständigen Manager Jochen Klösges und Ulrich Sieber verlassen das Institut zum 31. Dezember 2013

Deutschlands zweitgrößtes Geldhaus war zuletzt beim Abbau seiner Bilanzrisiken vorangekommen. Der Nettogewinn stieg im dritten Quartal leicht auf 77 (Vorjahr: 67) Millionen Euro, vor allem weil die Steuerlast mit drei Millionen Euro um 115 Millionen Euro niedriger ausfiel als im Vorjahr.

Mit dem Überschuss übertraf die Commerzbank das Ergebnis der Deutschen Bank, die wegen drohender juristischer Vergleichszahlen hohe Rückstellungen hatte bilden müssen und nach Steuern 51 Millionen Euro von Juli bis September verdient hatte.

Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) begrüßte die Steuerrazzia bei der Commerzbank . „Steuerbetrug ist kein Sport, sondern Betrug am Gemeinwesen. Wer dazu Beihilfe leistet oder das sogar als Geschäftsmodell betreibt, muss mit der ganzen Härte des Gesetzes rechnen“, sagte der SPD-Politiker Handelsblatt Online.

Das gelte unabhängig davon, ob es sich um ausländische oder inländische Institute mit oder ohne staatliche Beteiligung handele, sagte er mit Blick auf die Beteiligung des Bundes an der Commerzbank. Es sei ein gutes Zeichen, dass der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD keinen Zweifel daran lasse, „dass das auch eine gemeinsame Auffassung der potentiellen Regierungspartner im Bund ist“.

Die Grünen fordern angesichts der Ermittlungen Konsequenzen. Das Problem sei, dass bisher Banken oder Versicherungen, „die auf die vermutete Weise Steuerhinterziehung den Weg bereiten, praktisch ungeschoren davon kommen, weil es kein Strafrecht für Unternehmen gibt“, sagte Gerhard Schick Handelsblatt Online.

„Somit könnten auf Seiten der Anbieter nur konkrete Verantwortliche als Bauernopfer belangt werden, die aufgrund der undurchsichtigen Unternehmensstrukturen für die Staatsanwaltschaften zudem schwer ausfindig zu machen sind.“

Gegen die Unternehmen selbst seien derzeit nur Geldbußen im Rahmen von Ordnungswidrigkeiten möglich, sagte Schick weiter. Diese stünden meist in keinem Verhältnis zu den illegalen Vermögensvorteilen. „Deshalb müsste unbedingt ein Unternehmensstrafrecht eingeführt werden, um solche Praktiken angemessen zu ahnden.“