Der Chef des Versicherungskonzerns Provinzial Nordwest, Ulrich Rüther, ist nach Angaben des Betriebsrats von einem Vermummten angegriffen worden. Rüther sei mit einem Schraubenzieher in die Brust gestochen worden, sagte der Betriebsratsvorsitzende Albert Roer am Mittwoch in Münster. Rüther hätte am Vormittag an einer Betriebsversammlung der zweitgrößten öffentlichen Versicherung teilnehmen sollen, wo die Belegschaft über mögliche Verkaufsabsichten der Provinzial-Nordwest-Eigentümer informiert wurde.

Der Vorfall habe sich am Morgen ereignet, als Rüther aus der Tiefgarage in sein Büro gehen wollte. Er werde jetzt im Krankenhaus behandelt. Rüther ist seit Januar 2009 Vorstandschef der Provinzial NordWest Holding. Der am 18. März 1968 in Ibbenbüren geborene Manager war über den Gerling-Konzern und den Versicherer Ergo zur Provinzial gekommen.

Am Nachmittag teilte das Unternehmen mit, dass Rüther nicht „schwer verletzt, sondern glücklicherweise schon wieder auf dem Weg der Besserung“ sei. Der Manager werde seiner Arbeit in den nächsten Tagen wieder nachgehen können.

Bei der Provinzial Nordwest gab es am Mittwoch Betriebsversammlungen. Arbeitnehmervertreter sind besorgt wegen eines möglichen Verkaufs des Versicherers. Laut Finanzkreisen könnte der Münchener Branchenprimus Allianz weit mehr als 2,25 Milliarden Euro für die Provinzial Nordwest auf den Tisch legen. Die Gewerkschaft Verdi hatte die Eigentümer gefordert, an dem Versicherer festzuhalten.

Im Ringen um die Zukunft der Versicherung Provinzial Nordwest rechnet die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit einer Entscheidung für Verkaufsgespräche. “Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass in der kommenden Woche eine Entscheidung für Verkaufsgespräche getroffen wird”, sagte Frank Fassin, der für Verdi im Aufsichtsrat der Provinzial Nordwest sitzt, am Mittwoch in Münster. Die Gewerkschaft wisse von möglichen Verkaufsabsichten der Holding an die Allianz. Der Aufsichtsrat der Provinzial Nordwest plane noch vor Weihnachten eine außerordentliche Sitzung. 
Die Provinzial Nordwest ist der zweitgrößte Sparkassen-Versicherer in Deutschland. Die Eigentümer der Provinzial Nordwest sind die Sparkassenverbände aus Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein sowie der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).

Bei den Sparkassen gibt es gewichtige Stimmen, die sich für eine Versicherer-Fusion innerhalb des Sparkassen-Sektors einsetzen, um der Allianz kein Einfallstor ins Lager der elf öffentlichen Versicherer zu bieten. Selbst der westfälische Sparkassen-Verbandschef Rolf Gerlach, der federführend mit der Allianz verhandelt, hatte vor einem Jahr eine Konsolidierung im Sektor gefordert.

Am deutlichsten hatte sich der LWL, dem neun Städte und 18 Kreise angehören, gegen einen Verkauf der Provinzial Nordwest ausgesprochen. Daran habe sich seit Freitag nichts geändert, sagte ein LWL-Sprecher in Münster. Der Verband, der 40 Prozent an der Provinzial Nordwest hält, könnte bei einem Verkauf aber mit einem Milliardenerlös rechnen, weit mehr als der Versicherer im Jahr an seine Eigentümer ausschüttet.

Die Gewerkschaft Verdi hatte vom Aufsichtsrat ein Bekenntnis gefordert, das Unternehmen nicht an die Allianz zu verkaufen. Doch dieses blieb aus. „Die Eigentümer wollen sehr zeitnah entscheiden, ob ein Verkauf überhaupt und wenn ja, zu welchen Bedingungen infrage kommt“, hieß es in der Erklärung nach der Aufsichtsratssitzung.

Laut „Financial Times Deutschland“ wollen die Eigentümer noch vor Weihnachten entscheiden, ob sie verkaufen. Der Sparkassenverband Westfalen-Lippe hält weitere 40 Prozent an der Provinzial Nordwest, 18 Prozent liegen beim Sparkassenverband Schleswig-Holstein, zwei Prozent beim Ostdeutschen Sparkassenverband.

„Durch eine solche Entscheidung würde der gesamte Sparkassen-Finanzverbund in Frage gestellt“, hatte Verdi-Vorstandsmitglied Beate Mensch vor einem Verkauf an die Allianz gewarnt. „Auch die weiteren öffentlichen Versicherer stünden unmittelbar zum Verkauf.“ Rund 6.000 Arbeitsplätze bei der Provinzial stünden bei einem Verkauf auf dem Spiel, fürchten die Gewerkschaften.

Verdi hat die Belegschaften in Münster, Kiel und Hamburg zu Betriebsversammlungen für Mittwoch zusammengetrommelt, um gegen einen Verkauf zu protestieren.