Die Angst vor den Gefahren des Netzes diskutiert die Versicherungsbranche bei ihrem Treffen in Berlin. Das rüttelt am Gefühl der Unternehmen für Sicherheit – und dann kommt auch noch Donald Trump hinzu.

Die Gefahrenlage zeigt sich anhand weniger Zahlen. 49 Millionen der gut 82 Millionen Deutschen besitzen inzwischen ein Smartphone. Sie wickeln ihre Bankgeschäfte dort ab, buchen Reisen oder bestellen ihr Abendessen. Das Betätigungsfeld für solche, die aus den vielen Milliarden Daten illegalen Nutzen ziehen wollen, steigt somit von Tag zu Tag rapide an. „Cybercrime ist eine wachsende Industrie, die einen großen Ertrag bei kleinen Risiken verspricht“, bringt Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes die Lage auf den Punkt

Münch ist nur einer von vielen prominenten Rednern von außerhalb der Branche, die der Gesamtverband der Deutschen Versicherungsindustrie (GDV) zu seiner Jahrestagung nach Berlin geladen hat. Es soll um das Thema Risiko gehen. Um die großen Gefahren für diese Welt, um die neuen seit dem Brexit und der US-Wahl, aber auch um die überbewerteten und die womöglich noch gar nicht wahrgenommenen.

Praktiker wie Münch sind also gefragt. Der spannt den Bogen sogleich von den Risiken durch die wachsende Nutzung von Smartphones zum drohenden Gefahrenpotenzial, das durch das sogenannte Internet der Dinge – also die Vernetzung von Maschinen mit dem Netz – in den kommenden Jahren erwachsen kann. Bis zum Jahr 2020 sollen eine Million Endgeräte in Deutschland mit dem Internet der Dinge verbunden sein.
51 Prozent der deutschen Unternehmen berichteten zuletzt schon über Angriffe auf die Datensicherheit, lautet laut Münch eine Zahl des Branchenverbandes Bitkom. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Einzug in die Statistik findet schließlich nur das, was Behörden oder Versicherern gemeldet wurde. Deswegen appelliert Münch auch an angegriffene Unternehmen, dies auch anzuzeigen. Und nimmt auch gleich die Angst, dass mit einer solchen Offenlegung der Aktienkurs absacken könnte. „Das war nach Untersuchungen unserer US-Kollegen in der Regel nur kurz der Fall. Wenn gleichzeitig mit den Behörden zusammengearbeitet wurde, ging es anschließend schnell wieder auf das vorherige Niveau“, so Münch.
Es sind jedoch nicht nur die Praktiker, die an diesem Tag in Berlin die Gedankenwelt der Versicherer zum Thema Risiko erweitern sollen. Mit Klaus Schwab, dem Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums in Davos, gehört auch ein prominenter Vordenker dazu. Auf Podien ist er gewöhnlich selten zu finden. Dass er diesmal dennoch kommt, liegt an der Vermittlung von Ex-Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Einen Ausblick auf den nächsten Global Risk Report gibt Schwab, der im Januar rechtzeitig zum Gipfel der Mächtigen in den Alpen wieder erscheinen soll. 700 Experten hatten den in den vergangenen Monaten zusammengestellt. „Nur entspricht er nicht mehr dem Realitätsdenken nach der amerikanischen Wahl“, muss Schwab eingestehen. Nacharbeiten sind also angesagt.
Dennoch hat der 78-Jährige fünf Transformationskräfte ausgemacht, die die Welt in den kommenden Jahren verändern werden. Als erste betrachtet er die vierte industrielle Revolution, also die Vernetzung von Maschinen, Menschen und Produktionsabläufen. „Es ist eine Systemrevolution, keine Produktrevolution“, so Schwab zur Dimension. Sorge bereitet ihm dabei nicht die Technik, sondern dass die Politik die Kontrolle über das Thema verliert. Erste Tendenzen dazu gibt es seiner Ansicht nach bereits, wie die Beispiele im Umgang mit Facebook und Google zeigen.
Die zweite wesentliche Transformationskraft ist für ihn der Übergang von der unipolaren zur multipolaren Welt. Hinter der sperrigen Formulierung verbirgt sich nicht viel weniger als der dramatische Wandel der bisherigen Weltordnung. Die gemeinsame Wertebasis sieht Schwab infrage gestellt. „Es gibt nicht mehr gemeinsame Werte, sondern nur noch gemeinsame Interessen.“
Dramatisch könnte die Lage werden, wenn die Weltwirtschaft in Zukunft nicht mehr so schnell wächst wie in den vergangenen Jahren. Dieser dritten Transformationskraft könnte im vierten Schritt sogar die Implosion des Kapitalismus und letztlich die Suche nach neuen Identitäten in Politik und Wirtschaft folgen. Angst will Schwab dennoch nicht machen, nur sensibilisieren. „Trotz aller Risiken, es ist auch eine verdammt interessante Zeit“, ist er sich sicher.
Nikolaus von Bomhard, Vorstandschef der Munich Re, ist einer, der aus dieser drastisch veränderten Gemengelage eine Strategie für den weltgrößten Rückversicherer entwickeln muss. Neue Trends zu sehen, gehört dabei seit ehedem zu seinem Kerngeschäft. „Dafür braucht es aber Zeit, Alternativen und Sachkunde“, so von Bomhard. Die drei Faktoren bekomme man aber heute kaum mehr zusammen. Paradebeispiel dafür war die Finanzkrise, als Politik und Wirtschaft nur wenige Tage Zeit hatten, um das Finanzsystem zu stabilisieren.
Viele Gefahrenherde um Cyberkriminalität, Erderwärmung, innere Sicherheit, Demografie und die Niedrigzinspolitik sind heute bekannt, ohne dass es dafür wirksame Gegenmittel gibt. Denkbar ist, dass mittelfristig noch größere Probleme hinzukommen. Die Versicherer nehmen von ihrem Branchentag jedenfalls kein Gefühl der Sicherheit mit nach Hause.
Fonte:
Handelsblatt
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