Wer hätte das gedacht? So reagieren viele in der Versicherungsbranche auf den jüngsten Skandal. In deren Zentrum steht ausgerechnet der Musterknabe aus Koblenz, die Debeka. Unlauteren Wettbewerb – und das über Jahrzehnte – hätten wohl die wenigsten dem bieder wirkenden Versicherungskonzern zugetraut. Darauf läuft jedoch der rechtswidrige Adressenhandel im Vertrieb hinaus.

Was ist passiert? Mitarbeiter der traditionsreichen Versicherung haben über viele Jahre hinweg von Behörden Adressen von Beamtenanwärtern erworben, um den angehenden Staatsdienern Versicherungen zu verkaufen. Dies deckte das Handelsblatt auf. Die Berichterstattung wurde vom Konzern im Grundsatz bestätigt.

Debeka-Sprecher Gerd Benner sagte dazu, die Debeka habe ein „solches Fehlverhalten zu keinem Zeitpunkt gewünscht, gefordert oder angewiesen“. Zwar hätten Vertriebsmitarbeiter der Debeka Adressen von Beamtenanwärtern gekauft. Doch dieses Fehlverhalten beziehe sich auf „einige Fälle in den 1980er- und 1990er-Jahren“.

Die Bestechung von Behördenmitarbeitern durch Vertreter der Debeka-Versicherung zog sich jedoch nach einem weiteren Bericht des Handelsblatts bis in die jüngere Vergangenheit. Noch am 27. Juli 2010 befasste sich das Amtsgericht Tübingen mit der Art und Weise, wie Debeka-Mitarbeiter ihre Vertragsanbahnung betrieben.

Die Reaktionen in der Versicherungswirtschaft auf diesen Skandal sind bisher rar, meist verhalten und oft gepaart mit ungläubigem Erstaunen. So schrieb etwa der Branchenbrief „Bocquel-News“: „Nun soll auch dem Musterknaben und Marktführer unter den privaten Krankenversicherern ein Skandal angelastet werden.“ Der Verbandspräsident der Versicherer, Alexander Erdland, fordert nunim Handelsblatt-Interview mehr Selbstkontrolle.

Deutlicher wurde da schon die Zeitschrift „Versicherungswirtschaft“. „Keine Frage indes, dass der Vorgang einen Rückschlag für die Reputation der Branche insgesamt bedeutet“, heißt es im Tagesreport „Versicherungswirtschaft heute“. Ausgerechnet die Debeka, die in schier beamtenhaft-spröder Tugend auf aufwendige mediale Glanzwerbung verzichte, gerate nun ins Kreuzfeuer. Am deutlichsten werden jedoch die Versicherungsmakler.

„Der rechtswidrige Adressenhandel im Vertrieb der Debeka ist unfassbar“, sagte Hans-Georg Jenssen, Geschäftsführender Vorstand des Verbandes Deutscher Versicherungsmakler (VDVM), gegenüber Handelsblatt Online. „Das hätten wir uns im Traum nicht vorgestellt, dass ausgerechnet bei diesem Versicherungskonzern so etwas passiert.“

Denn bisher habe man die Debeka als sehr sauber und rein wahrgenommen, sagte Jenssen und ließ sogleich eine Spitze gegen die Vermittlerkonkurrenz los. Die Vorgänge belegten, dass zwischen freien Handelsvertretern großer Konzerne und festangestellten Vermittlern wie bei der Debeka kein signifikanter Unterschied bestehe.

Grundsätzlich werde durch diesen Skandal zudem die Akzeptanz der Abschlussprovision als Entlohnung für Versicherungsvermittler nicht gefördert. „Für die Versicherungsbranche insgesamt ist dies ein weiterer Rückschlag – nach den Skandalen rund um Ergo, Wüstenrot oder auch Mehmet Göker“, sagte Jenssen.

Der Versicherungsmakler erwartet, dass die Vertriebsstrukturen in der Versicherungswirtschaft nun in der Öffentlichkeit und der Politik noch kritischer gesehen werden. Abgesehen davon stellten sich ganz neue Fragen. Etwa: Wer geht wie mit meinen Daten um? „Mich erschüttert darüber hinaus, dass dieser Adressenhandel kein regionales Phänomen zu sein scheint, sondern wohl eher flächendeckend passiert sein dürfte.“

Deutliche Worte fand daneben bisher nur der Verbraucherschutzverein Bund der Versicherten (BdV). Der Skandal um den Adressenkauf durch Debeka-Mitarbeiter stelle die gesamte Branche vor ein Problem. „Es reicht offensichtlich nicht aus, wenn sich die Versicherer auf Selbstverpflichtungen verständigen“, erklärte Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des BdV.

Er fordert, dass zukünftig die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) die Aufsicht über Versicherungsvermittler führt. Denn die kommunalen Industrie- und Handelskammern seien damit anscheinend überfordert. Genau dies wird in den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union bereits diskutiert.

Eine einheitliche Aufsicht für Versicherungsvermittler befürworten bisher allerdings nur die Verbraucherschützer in beiden Parteien. Versuche, dies in der vergangenen Legislaturperiode durchzusetzen, waren am Widerstand aus der Branche gescheitert. Als die Haltung der Koalitionsunterhändler bekannt wurde, wehrten sich daher sogleich die Lobbyisten von Vermittlerverbänden.

Diese Haltung der Unterhändler  komme sehr überraschend, erklärte der Bundesverband Finanzdienstleistung (AfW). Denn die CDU habe noch vor der Bundestagswahl die gewerberechtliche Regulierung als den richtigen Weg beschrieben. Das sei auch gut so.

„Aktuell sind die Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler bei den lokal ansässigen Industrie- und Handelskammern und den Gewerbeämtern in guter Hand“, erklärte der Vermittlerverband. Sie seien vor Ort, sie würden die Leute kennen, und sie seien näher dran als die Bafin. Außerdem seien die Strukturen der Bafin aktuell auf Institute ausgerichtet und nicht auf einzelne Vermittler.

AfW-Vorstand Frank Rottenbacher hofft auf eine Kehrtwende. „Ich gehe davon aus, dass sich die zuständige Arbeitsgruppe Finanzen dieser Frage annehmen wird.“ Der AfW bleibe dabei: Die gewerberechtliche Regulierung sei der richtige Weg ist, um die unabhängige Finanzberatung in Deutschland zu erhalten.

Das sehen Verbraucherschützer jedoch anders. Und der Debeka-Skandal könnte dafür sorgen, dass auch die Politik in Berlin diesen Streit zwischen Verbraucherschützern und Vermittlern nun anders beurteilt. Denn, so der Bund der Versicherten, die Recherchen des Handelsblatts hätten doch Merkwürdiges ans Licht gebracht.

So seien Adressen von oberen Schichten der Pyramide im Vertrieb nach unten gegeben worden. „Würden sich diese Vorwürfe bestätigen, so hätte sich in der Vermittlerschaft der Debeka eine heimliche Pyramidenstruktur etabliert“, stellte BdV-Chef Kleinlein fest. So etwas kennen die Experten bisher eher von Strukturvertrieben wieAWD oder OVB.

Die Debeka hatte dagegen lange Zeit aus Sicht vieler Verbraucherschützer als Unternehmen mit Vorbildcharakter gegolten. Da die Vermittler dort festangestellt sind, nahmen viele Experten an, dass ein erheblich geringerer Vertriebsdruck bestünde als in anderen Teilen der Branche. Dieses Urteil setzte sich vielleicht auch deshalb fest, weil es wenig Debeka-Vertreter gab, die über ihre Arbeitsbedingungen jammerten.

Aus der Sicht von Konkurrenten schotteten sich die Debeka-Vertreter immer ein wenig ab, manche sprechen von einem „Closed Shop“, also einem verschlossenen Laden. Debeka-Vermittler waren eben anders, so wie der Konzern dies auch in seiner Werbung zelebrierte. Diese Annahmen hätten sich aber nach den jüngsten Enthüllungen als falsch herausgestellt, stellt Kleinlein fest. 

 

Anscheinend seien auch die Debeka-Vertreter einem merklichen Provisionsdruck ausgesetzt. Damit seien die Vermittler in der Beratung nicht nur dem Wohl des Kunden verpflichtet, sondern gleichzeitig dem eigenen Verdienst, kritisiert Kleinlein: „Ein solcher Interessenkonflikt ist nach Erfahrung vieler Verbraucherschützer aber ursächlich für eine Falschberatung.“

Für Kleinlein belegt der Debeka-Fall zudem, dass Selbstverpflichtungen von Vermittlern wenig bringen. „Offensichtlich sind die Skandale um Ergo, Wüstenrot und nun Debeka nur die Spitze des Eisbergs.“ Angesichts der großen gesellschaftlichen Verantwortung der Versicherungswirtschaft sollte endlich für einen Schutz der Verbraucher vor dubiosen Vermittlerpraktiken gesorgt werden.

Das fordern auch andere Experten in der Branche. „Ich hoffe, der Staat geht diesen Verfehlungen konsequent nach“, reagierten Branchenkenner auf die Veröffentlichungen im Handelsblatt. Viele Experten wollten sich auf Anfrage von Handelsblatt jedoch nicht öffentlich zu diesem Thema äußern, sondern waren allenfalls zu Hintergrundgesprächen bereit.

Dabei wurde auch auf die enge Verbindung von Versicherungen und Beamtenorganisationen verwiesen. So hätten sich im Deutschen Beamtenwirtschaftsring e. V. (DBW) diverse Unternehmen des Finanzsektors, auch die Debeka, organisiert und Claims abgesteckt . Dies habe auch dazu gedient, sich Wettbewerbsvorteile im Geschäft mit Beamten zu sichern.

Das Zusammenwirken von Beamtenschaft und DBW sei unter dem Marketingdach einer „Selbsthilfeeinrichtung der Beamten“ erfolgt. So deklarierten sich die DBW-Mitgliedsunternehmen. Sie hätten dabei eine Regel im Bundesbeamtengesetz (BBG) genutzt, wonach bestimmte Nebentätigkeiten von Beamten erlaubt sind.

Konkurrenten merkten in der Vergangenheit immer wieder ein wenig neidisch an, dass die Debeka sich im Behördensystem und der Beamtenschaft festgesetzt habe. Dies geschah insbesondere über Vertrauensleute. Dass dies zusammen mit dem jetzt aufgedeckten Adressenhandel den Wettbewerb im Markt für private Krankenversicherungen verzerrt haben dürfte, nahmen die Konkurrenten aber zähneknirschend in Kauf.

Die Debeka jedenfalls ist in der Versicherungswirtschaft einer der ganz großen Gewinner, wie das Unternehmen selbst herausstellt. So verwies der Debeka-Vorstandschef Uwe Laue auf der Bilanzpressekonferenz im Mai 2012 stolz auf eine Studie, die von der Universität Köln erstellt worden ist. Darin wurde die Entwicklung von Versicherungskonzernen zwischen 1960 und 2010 analysiert.

Das Ergebnis: Die Debeka hat von allen Versicherungskonzernen in Deutschland ihren Marktanteil langfristig am stärksten ausgeweitet – und zwar um 3,43 Prozentpunkte. Große Konkurrenten wie Axa,Allianz oder Ergo hätten dagegen Verluste beim Marktanteil hinnehmen müssen. Laues Fazit lautete daher: „Wir sind der erfolgreichste Versicherungskonzern in den letzten 50 Jahren.“

Inwieweit dabei auch unlauter verschaffte Wettbewerbsvorteile eine Rolle spielten, fragen sich nun viele Branchenkenner. Dabei ist klar, dass der Vorteil in der privaten Krankenversicherung besonders groß ist. Denn eine Krankenversicherung wird von Beamten in der Regel zu Beginn ihres Berufslebens abgeschlossen.

Wegen der Altersrückstellungen, die früher nicht mitgenommen werden konnten, sind nach einigen Jahren Wechsel zu Konkurrenten sehr unwahrscheinlich – zumal die Debeka ein Versicherer mit vergleichsweise hochwertigen Produkten ist. Das wurde der Debeka in zahlreichen Bewertungen von Außenstehenden, etwa  vom „Map-Report“, immer wieder bestätigt.

Die Debeka reagierte kurz vor der ersten Veröffentlichung des Handelsblatts am 1. November mit der Ankündigung,  dass zum 31. Oktober 2013 neue Verhaltensrichtlinien für ihre 17.000 Mitarbeiter eingeführt würden. Damit würden die strengen Standards, die bei der Debeka bereits 2010 in Kraft getreten sind, weiter verschärft.

Vorstandsvorsitzender Laue räumte in diesem Zusammenhang „Verfehlungen in der Vergangenheit“ ein: „So wissen wir, dass in den 1980er- und 1990er-Jahren Vertriebsmitarbeiter auf eigene Rechnung Adressen potenzieller Kunden erworben haben, die zwischen Mitarbeitern weiter verteilt wurden.“

Auch der damaligen Führungsmannschaft habe die Sensibilität für diese datenschutzrechtliche Thematik gefehlt, erklärte Laue. „Und in diese Selbstkritik schließe ich mich ausdrücklich mit ein.“ Die Debeka lehne Geschäfte mit Adresshändlern schon immer ab. Und deshalb seien die Verhaltensvorschriften entsprechend verschärft worden.

Da die Debeka schon immer bewusst auf Werbung verzichtet habe, sei sie vor allem dadurch gewachsen, dass zufriedene Mitglieder „ihre“ Versicherung weiterempfehlen. Das sei Teil der Vertriebsphilosophie als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit und gleichzeitig Messlatte für Zufriedenheit, glaubt die Gesellschaft.

Gerade deshalb lege die Debeka höchsten Wert darauf, dass diese Empfehlungen rechtlich absolut einwandfrei seien. DieVerhaltensrichtlinie umfasse neben den Themen Datenschutz, IT-Sicherheit und Nichtdiskriminierung konkretere und umfangreichere Regelungen gegen Bestechung und Korruption. Eine direkte Weisung laute: „Die Debeka toleriert keinerlei Form der Bestechung und Korruption.“

Um die Vorwürfe gegen Mitarbeiter der Debeka aufzuklären, habe die Debeka am Montag, dem 4. November 2013, externe und interne Überprüfungen aufgenommen. Für die externen Überprüfungen habe sie die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verständigt und darüber hinaus Kontakt mit der Staatsanwaltschaft Koblenz aufgenommen. Zusätzlich stehe das Unternehmen seit Anfang November in Kontakt mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz Rheinland-Pfalz.

Wer interessante Unterlagen zur Debeka weiterleiten möchte, kann dies anonym in diesem Online-Briefkasten tun: https://handelsblatt-recherche.com/