Die Diskussion um den Selbstmord des Zurich-Finanzchefs Pierre Wauthier geht in eine neue Runde. Jetzt äußert sich der Vorstandschef des Versicherers. „Der Tod von Pierre Wauthier und der Rücktritt von Joe Ackermann haben den sehr guten Ruf derZurich beeinträchtigt, das ist gar keine Frage“, erklärt Martin Senn in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung.

Üblicherweise gehört es nicht zur Tagesordnung, dass der Vorstand eines großen Finanzunternehmens sich bei einem Selbstmord eines Mitarbeiters in der Öffentlichkeit positioniert. Der Schweizer zeigt sich aber um den Leumund seines Unternehmens besorgt. „ Ich arbeite jetzt daran, dass wir diesen Reputationsverlust, diese Wolke, die sich über das Unternehmen gelegt hat, wieder wegblasen können“, sagt Senn. Der „weiterhin großartige Ruf“ sei „etwas getrübter“.

Senn erklärt, nichts von einem möglichen Konflikt zwischen Ackermann oder Wauthier mitbekommen zu haben. Die Witwe des Finanzvorstandes hatte geäußert, dass Achermann ihren Mann unter Druck gesetzt habe. Senn berichtet freimütig über eine gemeinsame Reise nach London, eine Woche vor dem Selbstmord.

Beide hielten Präsentationen vor Investoren. „Pierre wirkte topfit. Ich habe nichts festgestellt, was auf irgendwelche Probleme hätte hindeuten können“, berichtet Senn. Sein Kollege soll „hoch kompetent“ gewirkt haben. Laut Umfragen soll er „global als einer der besten Finanzchefs“ gegolten haben. Wauthier sei „ integer“ und „bescheiden“ gewesen. Der Selbstmord sei nicht vorhersehbar gewesen: „Selbst wenn man einen Menschen gut kennt und eng mit ihm zusammenarbeitet, sieht man leider nie ganz in ihn hinein“, sagt Senn der NZZ.

Senn bestätigt, dass es in dem Abschiedsbrief um das Verhältnis zwischen „Herr Ackermann und Pierre Wauthier und um das Verhalten Ackermanns aus Sicht von Pierre Wauthier“ ginge.

Gestern hatte das Handelsblatt gemeldet, dass der verstorbene Finanzchef zwei Abschiedsbriefe hinterlassen hatte: „Einer war an die Familie gerichtet, ein zweiter aber an die Zurich Gruppe“, so ein Insider. Im Brief an den Konzern sei Ackermann als einziger Manager namentlich genannt.

Ein Sprecher der Zurich wollte auf Anfrage keine weiteren Angaben machen, dementierte die Informationen aber nicht. Die Witwe wollte keinen Kommentar abgeben. „Ich werde dazu nichts sagen“, erklärte sie am Samstag.

Pierre Wauthier war am vergangenen Montag tot in seinem Haus in Walchwil im Schweizer Kanton Zug gefunden worden. Die Zuger Polizei geht von Selbstmord aus. Ackermann war daraufhin von seinem Amt als Chefaufseher des Unternehmens zurückgetreten.

Über den Inhalt des zweiten Briefs gibt es ebenfalls weitere Details: Darin ist Ex-Präsident Ackermann der einzige Zurich-Manager, der mit Namen genannt wird. Wauthier beklagt in dem Schreiben die Gesprächskultur. Er habe die Situation insgesamt als furchtbar empfunden, sagen Personen, die Kenntnis vom Inhalt des Schreibens haben.

Der Finanzchef hat seinen Abschiedsbrief an Zurich mit dem Computer in englischer Sprache verfasst. Er ist an niemanden bestimmtes adressiert, in der Anrede steht lediglich „to whom it may concern“ (auf deutsch: „an alle, die es angeht“).

In dem Schreiben bezieht sich Wauthier auf zwei Aufeinandertreffen mit Ackermann, ohne aber die Details zu beschreiben. Um den Vorwurf geschönter Zahlen sei es nicht gegangen; vielmehr habe Wauthier bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen im Verwaltungsrat die Einschätzung geäußert, dass die Anleger die Zahlen recht gut aufnehmen würden. Dem habe Ackermann widersprochen, was eine Diskussion zur Folge hatte, berichten hochrangige Zurich-Kreise.

Auf einer Telefonkonferenz am Freitag hatte Ackermanns Nachfolger Tom de Swaan bestätigt, dass es in dem Abschiedsbrief ausschließlich um das Verhältnis zwischen Ackermann und Wauthier gehe, ohne Details zu nennen.

De Swaan kündigte an, dass der Verwaltungsrat die Vorgänge nun untersuchen wolle. Bei dieser Untersuchung wird Ackermann seinem alten Arbeitgeber erneut Rede und Antwort stehen müssen, heißt es in Konzernkreisen.
Vorstandschef Senner möchte sich „aus Respekt vor der Familie“ nicht zu den Inhalten der Briefe äußern. Senn selber berichtet nicht von einem starken Leistungsdruck. „Ich hatte ein gutes Arbeitsverhältnis mit Herrn Ackermann, es war von gegenseitigem Respekt geprägt“, sagt Senn.

Zu den Dreijahres-Zielvorgaben sagt Senn: „ Bei einigen dieser sehr ambitiösen Ziele stellt die Zielerfüllung bis zum Jahresende eine Herausforderung dar, etwa beim Verhältnis zwischen Schadenkosten und Einnahmen, das wir relativ zu unseren Konkurrenten verbessern wollten, oder beim Wachstum des Privatkunden-Sachversicherungsgeschäftes in den USA“.