Herbert Fromme ist Versicherungskorrespondent der FTD
Die Lebensversicherer sind wieder einmal im Schlussverkaufsmodus, wie vor jeder größeren Änderung von Steuer- oder Versicherungsgesetzen. Jetzt befeuern die künftigen Unisextarife die Absatzfantasien der Marketingstrategen. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs darf die Assekuranz ab dem 21. Dezember 2012 nur noch Verträge anbieten, die Männer und Frauen gleich behandeln. In der privaten Rentenversicherung bedeutet das in der Regel Preiserhöhungen für Männer. Mit diesem Argument ziehen Zehntausende von Vertretern in diesen Tagen los, um Männer zum raschen Vertragsabschluss zu drängen.
Aus Sicht des Kunden kann das sogar sinnvoll sein. Das gilt dann, wenn er ohnehin eine private Rentenversicherung abschließen wollte. Und wenn der Tarif, der ihm verkauft wird, tatsächlich unisexsicher ist, also nicht über Anpassungsklauseln und andere Regeln mit der Zeit zum ungünstigeren Unisexangebot mutiert.
Aus Sicht der Assekuranz ist der Schlussverkauf alles andere als sinnvoll, vor allem, wenn die Gesellschaften dabei klassische deutsche Lebens- und Rentenpolicen verkaufen. Dabei trägt der Versicherer im Wesentlichen das Kapitalanlagerisiko ebenso wie das Risiko, dass ganze Kundengruppen länger leben als einkalkuliert.
Mit diesen Verträgen können die meisten Versicherer nur verlieren. Der Uraltwitz “Wir machten zwar Verlust pro Stück, aber die Masse bringt’s” wird hier zur traurigen Wahrheit. Das liegt vor allem an den niedrigen Zinsen und am Mangel an attraktiven Kapitalanlagen. Gleichzeitig sieht sich die Branche neuen Aufsichtsregeln gegenüber, die langfristige Verpflichtungen mit hohen Kapitalanforderungen bestrafen. Wer heute als Versicherer Verträge mit einer Zinsgarantie von 60 oder 70 Jahren abschließt – keine Seltenheit bei privaten Rentenversicherungen -, muss dafür spätestens 2015 unter dem EU-Aufsichtsregime Solvency II sehr hohe Eigenmittel vorhalten. Versucht der Versicherer, durch Kapitalanlagen außerhalb der Hochsicherheitswelt die Erträge aufzubessern, führt auch das zu höheren Kapitalanforderungen.
Schon heute hat die Branche ein gewaltiges Problem mit den bestehenden Garantien für Kunden. 2012 müssen die Gesellschaften zusätzliche Rückstellungen von bis zu 6 Mrd. Euro aufbauen, die sogenannte Zinszusatzreserve, in den Folgejahren wird die Summe weiter ansteigen.
Bleiben die Zinsen noch einige Jahre so niedrig, drohen Pleiten von Lebensversicherern. Die wird der Staat zu verhindern wissen, schließlich kann die Finanzaufsicht BaFindie den Kunden eigentlich unwiderruflich gegebenen Garantien im Notfall aufheben. Aber dann wäre der Ruf der Versicherer als zuverlässige Vorsorgeinstitution vollständig ruiniert.
Von den Banken wird zu Recht verlangt, ihre Bilanzen zu verkleinern und damit ihre Risiken zu reduzieren. Für die Lebensversicherer gilt im Prinzip dasselbe. Dass sich viele Versicherer dennoch auf das Schlussverkaufsabenteuer einlassen, hat einen einfachen Grund. Sie müssen ihre viel zu großen Vertriebstruppen füttern, das geht mit neuen Verträgen in der Lebens- und Krankenversicherung immer noch am besten. Und viele haben immer noch interne Anreizsysteme, die Volumen belohnen und nicht die Gewinnhaltigkeit eines Geschäfts, die sich ohnehin bei Lebensversicherungen eher nach Jahrzehnten herausstellt.
In der Assekuranz ist inzwischen angekommen, dass sie nicht immun ist gegen die Folgen der Finanzkrise, wie einige Manager noch 2009 und 2010 selbstgefällig behaupteten. In der Versicherungswirtschaft kommen die Krisenfolgen nur später. Inzwischen reift in den meisten Häusern auch die Einsicht, dass die klassische Lebensversicherung mit lebenslänglichen Garantien ein Auslaufmodell ist. Nur: Alternativen hat die Branche noch nicht gefunden.
Fast schon peinlich sind da die Diskussionen in der Politik über neue Formen der privaten Vorsorge. Da sollen die Versicherer plötzlich die Altersarmut verhindern und die Probleme mit der gesetzlichen Rente lösen. Schließlich müssen wir sparen und die Staatsschulden reduzieren.