DüsseldorfEs sind gleich zwei Ausdrücke, die Langeweile ausstrahlen: Kredit – das klingt nach Banksachbearbeiter in einem öden Büro. Und Versicherer – da versteht doch überspitzt gesagt kaum jemand, was die Mathematiker in den Glastürmen den ganzen Tag ausrechnen an Beiträgen, Zuschlägen und Schadensquoten. Doch zusammengesetzt können die beiden Begriffe plötzlich ganz konkret spürbare Auswirkungen haben: Kreditversicherer gelten als Totengräber der Baumarktkette Max Bahr mit über 130 Filialen.

Vor allem ein Unternehmen trägt entscheidenden Anteil am Aus der Praktiker-Schwestermarke, die am Donnerstagabend verkündet worden war. Offenbar hat der französische Warenkreditversicherer Coface die Reißleine gezogen und die Vorfinanzierung der Lieferanten eingestellt. Wie kann eine solche Entscheidung so große Folgen haben? Handelsblatt Online erklärt das Geschäftsmodell der Kreditversicherer.

Warum Lieferanten überhaupt kriselnde Firmen beliefern

Die schwierige Lage der Baumarktkette Praktiker war lange vor der Insolvenzmeldung am 11. Juli bekannt. Dennoch schickten etwa ein süddeutscher Lieferant und viele weitere Produzenten wie gewohnt weiter Waren an die Filialen. Der Grund: Gegen eine mögliche Pleite des Kunden waren die Firmen abgesichert. Das geschieht über Kreditversicherungen.

Der süddeutsche Praktiker- und Max-Bahr-Lieferant erläutert hinter vorgehaltener Hand das Kalkül: Man habe Ware geliefert, weil man gegen die Insolvenz des Großkunden geschützt gewesen sei. Von den ausstehenden Rechnungsbeträgen müsse man wohl nur etwas mehr als zehn Prozent auf die eigene Kappe nehmen. Das Risiko sei man eingegangen – auch weil Vertrauen in das ursprüngliche Sanierungskonzept der Baumärkte gehabt habe. Ohne eine solche Absicherung können Lieferanten schlimmstenfalls durch insolvente Großkunden selbst in die Pleite gerissen werden.

Der Markt für Kreditversicherungen

In Deutschland sind die Platzhirsche der Branche die Allianz-Tochter Euler Hermes, Atradius und eben Coface. Bei Lieferbeziehungen mit unbekannten Kunden und vor allem bei großen Volumina ist eine Kreditversicherung weit verbreitet, nicht nur im Geschäft mit vermeintlich wackelnden Zahlern. Bis zu 90 Prozent eines Forderungsausfalls können über die Warenkreditversicherung abgedeckt werden.

Insgesamt geben Lieferanten ihren Kunden jedes Jahr durch den Vertrauensvorschuss bei der Lieferung Kredite in Höhe von 320 Milliarden Euro, schätzt Atradius. Für Einzelhändler ist es besonders wichtig, dass die Wareneingänge abgesichert werden können. Denn die insgesamt gewährten Kredite können durchaus 30 Prozent der Bilanz eines Lieferanten ausmachen, ohne Schutz liefern manche nur ungern. Denn dann besteht die Gefahr, auf Rechnungen in beachtlicher Größenordnung komplett sitzen zu bleiben. Für die Einzelhändler wäre wiederum eine Finanzierung gegen Vorkasse kaum bezahlbar.

Die Nachteile der Vorkasse

Bei den insolventen Baumärkten passiert spätestens jetzt genau das: Ware gibt es nur auf Vorkasse. Beim begrenzten Budget in der Sanierung muss der Insolvenzverwalter genau überlegen, welche Regale er auffüllt und welche nicht. Lücken im Sortiment können dann unvermeidlich sein.

Die Arbeit der Bonitätsprüfer

Aufgabe der Kreditversicherer ist es, die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen zu prüfen. Denn wenn eine Firma pleite geht, steht der Versicherer für die Ausfälle gerade. Die Branche nutzt dazu etwa öffentlich zugängliche Daten, nimmt aber durchaus auch Einblick in die Bücher von Firmen und erfasst unter den eigenen Kunden die Erfahrung mit bestimmten Abnehmern. So ergibt sich ein Frühwarnsystem.

In den vergangenen Monaten wurde offenbar bereits bei Kreditversicherern die Branche der Baumärkte skeptischer beurteilt und die Bedingungen für abgesicherte Lieferungen verschärft. Üblicherweise ist es so, dass schon lange vor einer Insolvenz die Versicherung von solchen Kundenbeziehungen schwieriger wird. Ein Coface-Sprecher wollte sich zum konkreten Fall nicht äußern. „Aber wir sehen uns grundsätzlich nicht als Auslöser für eine Insolvenz.“ Im Jahr 2012 hatten Kreditversicherer hohe Forderungen nach der Schlecker-Pleite zu begleichen und könnten vorsichtiger geworden sein.

Kosten der Kreditversicherung

Die Kreditversicherer haben mehrere Stellschrauben für die Preise der Versicherung. Zum einen fällt ein Promille-Anteil vom Wert der gelieferten Ware an. Doch auch durch andere Rahmenbedingungen kann die Attraktivität erhöht oder gesenkt werden. So können die Kreditversicherer etwa für Branchen oder einzelne Unternehmen die maximale Deckungshöhe senken oder erhöhen, gleiches gilt für die Höhe eines Selbstbehalts. Euler Hermes nennt als Kostenfakturen auch die Risikosituation des Lieferanten, die Größe und die Zahlungsfähigkeit des Warenempfängers.

Die Macht der Kreditversicherer

„Den Warenkreditversicherern kommt in Sanierungsprozessen eine ebenso große Rolle wie den Banken zu“, so Christoph Niering, Vorsitzender des Verbands der Insolvenzverwalter, zu Handelsblatt Online. Denn wenn der Rückhalt der Versicherer wegbreche, entstehe eine Finanzierungslücke. Und wenn das geschehe, könne die Suche nach alternativen Geldquellen – wie etwa Bankkrediten – bereits unmöglich sein und die Insolvenz eine Konsequenz. In Sanierungsgesprächen haben die Versicherer daher immer einen Platz am Verhandlungstisch. Allerdings schwankt die Bedeutung von Fall zu Fall.

Die Versicherer und die Sanierung

Rutscht ein Unternehmen in die Insolvenz hat der Kreditversicherer Eigentumsvorbehalte gegenüber der Ware, die geliefert wurde. Liegen also versicherte Schrauben im Regal, gehören diese mit der Insolvenzmeldung dem Kreditversicherer. Die Ware einsammeln wird aufgrund des logistischen Aufwands kein Versicherer. Aber er wird beim Insolvenzverwalter darauf pochen, die Bestände zu möglichst hohen Preisen loszuschlagen. Der Erlös deckt dann zumindest einen Teil der versicherten Summe. Die Entscheidung, ob die Versicherung eher auf Abwicklung oder Neustart einer Firma setzt, ist damit zentraler Bestandteil jeder Firmenrettung – auch bei Praktiker und Max Bahr.

Mitarbeit: Kirsten Ludowig.