Die Bonus-Malus-Systeme, mit denen Rechtsschutzversicherer ihre Kunden zu Vertragsanwälten lotsen, stehen nach Überzeugung von Experten vor dem Aus. Der Bundesgerichtshof (BGH) wird in Kürze über eine Klage der Rechtsanwaltskammer München gegen ein entsprechendes Vertragsmodell der HUK-Coburg entscheiden. Die vorige Instanz, das Oberlandesgericht Bamberg, hat die angegriffenen Klauseln bereits für unzulässig erklärt (Az.: 3 U 236/11). “Das Urteil wird wohl vor dem BGH bestehen bleiben”, sagt Ulrich Vorspel-Rüter, Versicherungsexperte bei Brandi Rechtsanwälte. Davon geht auch Monika Maria Risch aus, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Und das, sagt Risch, wäre “das Ende der Bonus-Malus-Systeme der Rechtschutzversicherer in Zusammenhang mit Anwaltsnetzen”.
Viele Rechtsschutzversicherer bieten Kunden Vergünstigungen, wenn sie bereit sind, zu einem Vertragsanwalt zu gehen. So funktioniert auch das von den Münchner Anwälten kritisierte Selbstbehaltmodell der HUK-Coburg. Ein Neukunde muss im Schadenfall eine Eigenbeteiligung von 150 Euro zahlen. Die reduziert sich mit der Zeit, wenn er keinen Rechtsstreit führt. Nimmt er die Police oft in Anspruch, steigt der Selbstbehalt auf bis zu 400 Euro pro Fall. Entscheidet er sich aber für einen vom Versicherer empfohlenen Anwalt, gilt der Vertrag trotz Rechtsstreits als schadenfrei. Die Eigenbeteiligung erhöht sich nicht.
Die Rechtsanwaltskammer München sieht dadurch das Recht der Kunden auf freie Anwaltswahl eingeschränkt – und setzte sich gegen die HUK-Coburg in zweiter Instanz durch. Das Landgericht Bamberg hatte zuvor noch argumentiert, der finanzielle Nachteil des Kunden sei zu gering, um ihn bei der Entscheidung über den Vertragsanwalt zu beeinflussen. Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg aber konterte, dass keinerlei finanzielle Schlechterstellung zu akzeptieren sei. Das Recht auf freie Anwaltswahl sei eine Vorgabe, von der nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden dürfe. Es könne nicht gegen Gewährung eines Vorteils abgekauft werden. HUK-Coburg hat Revision gegen das Urteil eingelegt.
“Ich finde die Argumentation des OLG sehr überzeugend”, sagt Versicherungsexperte Vorspel-Rüter. Bestätigt der BGH die Entscheidung des OLG, dürften die Kosten, die ein Kunde zu schultern hat, künftig nicht mehr davon abhängen, ob er sich für oder gegen einen Kooperationsanwalt entscheidet.
Die Branche selbst gibt sich noch wortkarg. Man äußere sich zu gerichtlichen Auseinandersetzungen von Wettbewerbern nicht, heißt es etwa beim Rechtsschutzversicherer DAS. Grund zur Sorge gibt es aber durchaus. Mit dem Verbot von Anreizsystemen würde den Versicherungen ein wichtiges Steuerungselement verloren gehen. Für sie zahlt sich die Zusammenarbeit mit Partneranwälten aus. Gehen Anwälte eine Kooperation mit einem Rechtsschutzversicherer ein, ist das immer mit einer Gebührenvereinbarung verbunden. Das Unternehmen sichert sich einen Rabatt, im Gegenzug bekommt der Anwalt Mandanten. Bei einem schlichten außergerichtlichen Fall ist der Preisnachlass nach Angaben des DAV etwa ein Viertel des üblichen Honorars, bei einer komplizierten außergerichtlichen Sache schon 50 Prozent.
 
 
Dass sich Anwälte überhaupt auf so etwas einlassen, liege am immer härter werdenden Wettbewerb im Anwaltsmarkt, sagt der Fachanwalt für Versicherungsrecht Klaus Schneider. “Diese Situation lässt befürchten, dass sich nicht vorrangig die fachlich kompetenteren, spezialisierten Anwälte einem solchen Anwaltsnetzwerk anschließen werden.” Zudem bestehe die Gefahr, dass Kooperationsanwälte bei teuren Prozessen Rücksicht auf die Interessen des Versicherers nehmen und Mandanten davon abraten zu klagen. Ganz schwierig werde es, wenn strittig ist, ob der Anbieter überhaupt zahlen muss. “In solchen Fällen dürfte das Mitglied eines Anwaltsnetzwerks zumindest nicht ohne Weiteres bereit sein, einen Prozess gegen seinen kooperierenden Rechtsschutzversicherer zu führen”, sagt Schneider.
Anwalt Vorspel-Rüter rechnet allerdings nicht damit, dass die Kooperationen ganz vom Markt verschwinden werden. “Sondervereinbarungen und Anwaltsempfehlungen ohne finanzielle Anreize sind nach wie vor zulässig”, sagt er. Er erwartet, dass Versicherungsunternehmen nach einem Verbot von Bonus-Malus-Systemen ihre Anwaltskooperationen eher noch aggressiver bewerben werden.