Münster Dem Sparkassenversicherer Provinzial Nordwest droht Ärger. Drei Mitglieder aus dem Aufsichtsrat gehen gegen einen Beschluss der Hauptversammlung vom 28. Mai vor und klagen vor dem Landgericht Münster. Der Versicherer will mehr als 70 Millionen Euro an die Eigentümer ausschütten. Das entspreche 85,2 Prozent des gesamten Jahresüberschusses und einer Verzinsung des Nenngrundkapitals von 43,9 Prozent, errechneten die Gewerkschaften.

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kritisiert dieses Vorgehen scharf. „Schon für normale Aktiengesellschaften wäre dies eine exorbitant hohe Dividende. Wir halten diese Ausschüttung für ein zwar unter der Form einer AG firmierendes aber doch fortbestehendes öffentliches Unternehmen unangemessen und rechtswidrig“, sagte Frank Fassin, der Verdi im Aufsichtsrat als Arbeitnehmervertreter vertritt.

Der Gewerkschafter wertet die Ausschüttung als „eine politisch unerträgliche Selbstbedienung der Aktionäre“. Die Provinzial habe eine gesetzliche Aufgabenstellung im Verhältnis zu Kunden, Mitarbeitern und Öffentlichkeit. Diese Dividende verstoße daher zugleich auch rechtlich gegen die öffentlich-rechtlichen Bindungen des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Westfälischen Provinzial Versicherungen aus dem Jahre 2001. Diesen unterliege die Provinzial in ihrem praktischen Verhalten auch nach ihrer Umwandlung zur Aktiengesellschaft unverändert, erklärte Fassin weiter.

Die Anwälte der Gewerkschaften sind zuversichtlich. Lorenz Schwegler, Seniorpartner der für die Prozessvertretung mandatierten Rechtsanwaltskanzlei räumte allerdings ein, dass hier juristisches Neuland betreten werde. Denn erstmalig müsse seit in Kraft treten des Umwandlungsgesetzes die Frage geklärt werden, ob ein öffentliches Unternehmen sich durch Überstreifen einer privatrechtliche ‚Hülle‘ zugleich der Substanz seiner öffentlich-rechtlichen Pflichtenstellung entledigen könne. Insbesondere geht es hier um die Gemeinwohlbindung und den öffentlichen Versorgungsauftrages.

Provinzial-Aufsichtsrat Albert Roer will nicht tatenlos zusehen, wenn die Aktionäre sich in einem Maße bedienten, das beispiellos sei. Kerstin David, Vorsitzende des Betriebsrates der Provinzial in Kiel, glaubt: „Die Provinzial Nordwest als öffentliche Versicherung hat nicht die Gewinnerzielung zum Hauptzweck, sondern einen öffentlichen Auftrag zur Versorgung der Bevölkerung mit guten Versicherungsprodukten unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls.“

Provinzial-Konzernsprecher Jörg Brokkötter wies in einer Stellungnahme darauf hin, dass die Gewinnverwendung einer Aktiengesellschaft in der Hauptversammlung entschieden werde. Das Unternehmen habe hierzu einen Vorschlag an den Aufsichtsrat zu unterbreiten. Dabei seien die Interessen der Eigentümer, der Kunden, der Belegschaft und damit auch die Zukunftssicherheit der Provinzial Nordwest zu berücksichtigen.

 „Auch nach Ausschüttung der Dividende betreibt das Unternehmen – wie auch in den vergangenen Jahren – in erheblichem Maße nachhaltige Zukunftssicherung durch den weiteren Aufbau von Reserven und die Stärkung des Eigenkapitals“, erklärte Brokkötter. „Die Gewinnverwendung ist angemessen und vertretbar.“