Bei der Hauptversammlung von Daimler in dieser Woche musste die Polizei einen Streit um Würstchen schlichten – beim Auto-Tag der Allianz vor den Toren Münchens rückte der Notarzt an. Ein Golf war auf dem Parkplatz der Technikzentrums in einen BMW gerast, vor den Augen der gut 100 Gäste. Doch rasch wurde Entwarnung gegeben: Am Steuer saß ein Stuntman, der vermeintlich verletzte BMW-Insasse war ein (unverletzter) Dummy. Mit der Show sollte das neue Notrufsystem des Versicherers präsentiert werden, und alles funktionierte wie geplant: Dank des neuen Systems über einen Sensor im Zigarettenanzünder wurden automatisch nach dem Aufprall Notfallmaßnahmen eingeleitet.

Sicherer soll Deutschland auch durch das andere Produkt werden, das die Allianz am Donnerstag vorstellte: Einen Telematik-Tarif. Die Allianz ist nicht der erste Versicherer, der einen derartigen Tarife auf den Markt gebracht hat, aber der größte, so dass Experten damit rechnen, dass Telematik-Tarife nun auch den Durchschnittskunden erreichen. Nach Einschätzung von Roland Berger werden in 15 Jahren voraussichtlich 20 bis 25 Prozent des Kfz-Marktes auf Telematik-Tarife entfallen. Die HUK-Coburg, die sich mit der Allianz seit Jahren ein Rennen um die Vorherrschaft in der Autoversicherung liefert, will im dritten Quartal einen Telematik-Tarif für junge Fahrer einführen.
Mittels verschiedener Hilfsmittel –einer festeingebauten Blackbox im Auto, einem Stecker im Zigarettenanzünder oder lediglich einer App auf dem Smartphone – werden bei derartigen Tarifmodellen während des Autofahrens Daten an den Versicherer übertragen. Fährt man vorsichtig, bremst rechtzeitig, beschleunigt umsichtig und rast nicht in die Kurven, kann man dadurch die Kosten für seine Kfz-Versicherung senken.

20.000 bis 25.000 Kunden erhofft sich die Allianz im ersten Jahr für ihren Tarif „BonusDrive“. Das Modul richtet sich an Fahrer bis 28 Jahre und wird zu anderen Kfz-Tarifen hinzugekauft. Man lädt die entsprechende App herunter, setzt einen speziellen Stecker in den Zigarettenanzünder ein und fährt 100 Kilometer – dann erhält man einen Bonus von 10 Prozent auf seine Beitragsprämie zurück. Wie man danach fährt, bremst oder beschleunigt, wird aufgezeichnet und ausgewertet.

Je nach Fahrverhalten kann man im Laufe des Jahres Bronze, Silber oder Goldmedaillen erreichen und sich damit einen Bonus von 10, 20 oder 30 Prozent auf den Jahresbetrag erfahren, im ersten Jahr durch den Startbonus sogar 40 Prozent. „Eine Win-Win-Situation“ sei das, erklärt Allianz-Vorstand Frank Sommerfeld. Schließlich würden gerade junge Fahrer viele Unfälle verursachen. Wenn man über eine Versicherung das Fahrverhalten bessern könne, sei das natürlich für alle Seiten positiv.
„Telematik-basierte Tarife lohnen sich heute vor allem für Kunden, die hohe Prämien zahlen müssen“, erklärt Versicherungsexperte Jürgen Thiele von Roland Berger. Beim Bund der Versicherten hingegen steht man Telematik-Tarifen aber „recht kritisch“ gegenüber. „Als Verbraucher muss man sich die Frage stellen, ob man wirklich will, dass der Versicherer genau weiß, wann ich wie wohin fahre – und ob das die wenigen Euro wert ist, die ich dadurch spare“, sagt Bianca Boss. Auch die Verbraucherschützer erwarten, dass sich Telematik-Tarife durchsetzen. „Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass andere Versicherer in Zugzwang kommen, wenn die Marktführer Neuheiten auf den Markt bringen“.

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Keine Entwicklung, die man beim Bund der Versicherten begrüßt: „Es ist zu erwarten, dass wegen der Telematik-Tarife die Preise generell steigen, aus zwei Gründen: Zum einen müssen die Rabatte finanziert werden und zum anderen dürfte es zu einer stärkeren Risikoverteilung kommen“, erklärt Boss. „Nur jemand, der überzeugt ist, umsichtig zu fahren, wird einen solchen Tarif abschließen. Das führt dazu, dass die Preise für die anderen Versicherten steigen“.
Fonte:
Handelsblatt