In Unternehmensbilanzen erscheint auf der Aktiva-Seite der “Goodwill”, ein immaterieller Vermögensposten, der meist die Differenz zwischen dem Erwerbspreis eines Unternehmens und den materiellen Vermögenswerten ist, die vor dem Erwerb in der Bilanz standen. Seit Anfang der Finanzkrise tendiert der Markt dahin, diesen Mehrwert bei der Bewertung eines Unternehmens außer Acht zu lassen.
Einmal mehr bewahrheitet sich, dass man nur glaubt, was man sieht, beziehungsweise was man greifen kann. Mutmaßliche Vermögenswerte haben an Bedeutung verloren. Vielmehr müssen jetzt alle außerbilanziellen Elemente wie Kautionen, Garantien und jegliche Versprechungen, die nicht direkt auf der Passiva-Seite auftauchen, identifiziert werden und der Markt davon Kenntnis erhalten.
Diese Argumentation kann auf die politische Ebene übertragen werden. Die Bürger haben in den vergangenen Jahren von dem äußerst schwachen Wirtschaftswachstum nicht viel zu sehen bekommen. Welch ein Kontrast zu den asiatischen und südamerikanischen Ländern, die sich auf hohe Wachstumszahlen stützen können, was sich in Großbauprojekten, allgegenwärtigen Baustellen, Häfen, Gebäuden, Fabriken etc. äußert. Investitionen dominieren den Großteil privatwirtschaftlicher und öffentlicher Entscheidungen in diesen Ländern. Das Wachstum springt einem an jeder Straßenecke ins Auge, die tiefgehende Umwandlung dieser Länder setzt sich ständig fort. Das Wachstum beruht dabei auf einer Art Pakt und gestaltet sich wie ein positiver Kreislauf, bei dem die Bürger sparen und Unternehmen und Staat investieren.

Die Anhäufung von Vermögen ist eindeutig die Vorstufe zur Vermögensverteilung. Das Versprechen, dass sich die persönliche wirtschaftliche Situation für den Einzelnen und künftige Generationen auf lange Sicht verbessern wird, gilt mehr als die Forderung nach einer sofortigen von öffentlicher Hand gestützten Erleichterung. Doch dies ist nur mit einem stetigen und greifbaren Wachstum möglich. Schwankt es jährlich zwischen -1 und 2 Prozent, dann wird nur der Verfall des öffentlichen, Ertrag bringenden Vermögens sichtbar, welches mit den knapp verfügbaren Mitteln nicht mehr instand gehalten werden kann.
In der Geschichte Frankreichs ist es bereits mehrmals zu Situationen gekommen, die einen Wachstumspakt entstehen ließen, insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und während der Goldenen 30er. Nun hingegen wird seit 40 Jahren nolens volens der Umverteilung gegenüber der Anhäufung, dem Konsum gegenüber Investitionen, den Sozialtransfers gegenüber direkten Gehältern der Vorzug gegeben. Die Politik der Arbeitszeitverkürzung, ein rein französischer Irrweg, illustriert diese verteilungsorientierte Tendenz. Der öffentliche und soziale Raum hat sich ausgedehnt, die Verteilungsmaschinerie hat sich überhitzt, während das Wachstum des Landes sich verlangsamte und nun ein derart schwaches Niveau aufweist, dass man seine Früchte nicht mehr sieht.
In der Regel erfolgt nach einigen Jahren heftigen Umverteilens eine Rückkehr zu mehr Orthodoxie, wenn die Verlangsamung des Wachstums spürbar, sichtbar und greifbar wird. Leider leuchteten die traditionellen Warnsignale nicht auf, weil der Staat das öffentliche und soziale Defizit aus dem Ruder laufen ließ und zur Finanzierung massiv Schulden aufnahm. Das Problem ist, dass das öffentliche Defizit, welches in den Passiva des Staates erscheint, den Augen der Bürger lange Zeit verborgen blieb. Als Kollektivschuld ist der Schuldenberg nicht greifbar. Hinzu kommt, dass der Staat lange Zeit stillschweigende Verpflichtungen eingegangen ist, die das “Außerbilanzielle” aufgeblasen haben und die Passiva noch weiter jenseits der Staatsschuldenhöhe ausweiten.
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och ob explizit oder implizit, der Einzelne fühlt sich nicht betroffen, was die Hypothese von Ricardo widerlegt, dass man die Bürger eines Landes nicht hinters Licht führen könne: Sie würden immer erkennen, dass man die Staatschuld früher oder später durch höhere Steuern abbezahlen muss. Tatsächlich sind die Bürger weitgehend kurzsichtig und haben weiter auf Pump gelebt, als würden sie niemals die Rechnung dafür erhalten. Erst das starke Signal der Rating-Agenturen zeigte das Ausmaß der französischen Passiva sowie die Tatsache, dass die Aktiva nicht proportional gewachsen waren. Wäre dies der Fall gewesen, hätten wir kein Problem. Für den Großteil der französischen Schulden gab es aber keine greifbare Gegenleistung: Das Defizit wurde für unproduktive Ausgaben und bereits getätigten Konsum verwendet.
Welch brutales Erwachen: Wir sind unendlich höher verschuldet als angenommen und besitzen viel weniger Vermögenswerte als geglaubt. Wer vorgibt, man könne auf Biegen und Brechen ein Verteilungsmodell beibehalten oder sogar verstärken, indem man die Steuerlast erhöht – was Sparer bestrafen und Investoren abschrecken würde – der rückt den schon heute weit entfernt liegenden Horizont einer sichtbaren Wachstumsrückkehr noch weiter in die Ferne. Dabei liegt hier die Voraussetzung für die Herausbildung eines Produktions- und Wettbewerbspaktes, dem allein es gelingen kann, die Mittel zu generieren, um eine jämmerliche Vergangenheit zu begleichen und einer glücklichen Zukunft den Weg zu bereiten.