Die neuen EU-Aufsichtsregeln für die Versicherungswirtschaft, an denen seit mehr als zehn Jahren gearbeitet wird, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit später eingeführt als geplant. Nach FTD-Informationen bereiten sich sowohl große Versicherer als auch die Brüsseler EU-Kommission auf einen neuen Zeitplan vor. Mit Solvency II will die EU Eigenkapitalregeln einführen, die sich an der konkreten Risikosituation jeder einzelnen Gesellschaft orientieren. Sie will Versicherer krisenfester machen und EU-weit einheitliche Regeln schaffen. Für die Versicherungskunden bedeutet die Verschiebung theoretisch, dass die Gesellschaften noch weitere zwei Jahre weniger sicher sind, als es die EU will.
Solvency II sollte 2013 in der Gemeinschaft eingeführt werden – allerdings mit einer einjährigen Frist, in der die Branche zwar Risikodaten nach den neuen Regeln erheben sollte, aber noch nach den alten Regeln Solvency I hätte arbeiten können. Vollständig gelten sollte Solvency II dann 2014.
“Jetzt sind 2015 für die Einführung und 2016 für die Scharfschaltung sehr wahrscheinlich”, sagte ein Versicherungsmanager, der nahe am Geschehen ist.
In der Branche sind die Regeln umstritten. Große Anbieter wie Allianz, Munich Re und Axa haben Solvency II jahrelang gefördert, während kleinere Gesellschaften wegen der hohen Anforderungen an Kapitalausstattung und Transparenz das System scharf bekämpften. Seit 2010 sehen auch die großen Versicherer Probleme – vor allem wegen der Vorschriften zur Lebensversicherung, die den Kapitalbedarf erhöhen. Hieran verlangen sie Änderungen.
Eine Verschiebung würde viele Manager frustrieren. Sie haben sich jahrelang mit hohem Aufwand auf die umfassendste Regeländerung in der Geschichte der Assekuranz vorbereitet. Andererseits dürfte so manche Gesellschaft erleichtert reagieren: Die Finanzkrise belastet ihre Bilanzen ohnehin, Solvency II erhöht den Druck zusätzlich.
Die entsprechende EU-Richtlinie zu Solvency II ist bereits seit 2007 in Kraft, sie muss aber noch durch eine sogenannte Omnibus-Richtlinie modifiziert werden. Grund für die Verzögerungen sind heftige Meinungsverschiedenheiten in den EU-Gremien über die genaue Ausgestaltung. Anders als geplant stimmte der zuständige Ausschuss des Europaparlaments am Dienstag nicht über die Omnibus-Richtlinie ab. Das soll jetzt am 20. und 21. März passieren. Damit verzögert sich der Zeitplan spürbar, weil der Trilog – die Abstimmung zwischen EU-Kommission, -Parlament und -Rat – nicht vor der Sommerpause abgeschlossen wird. Die Kommission kann die Durchführungsbestimmungen kaum vor 2013 beschließen. Da die EU eine Einführungsfrist von 18 Monaten zugesagt hat, ist die Einführung vor 2015 unwahrscheinlich.
Die EU-Kommission schließt eine spätere Einführung nicht aus. “Wir bedauern diese Verzögerung, arbeiten aber weiterhin entschlossen an einer zügigen Einführung der Solvency-II-Regeln”, sagte eine Sprecherin von EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier. “Die Auswirkungen auf den Zeitplan müssen dann im Trilog besprochen werden.”
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hält eine spätere Einführung nach der Verschiebung im EU-Parlament für möglich. “Das bleibt abzuwarten”, sagte eine Sprecherin. Die Qualität müsse Vorrang vor dem Zeitplan haben.